Muttis Mythos: Stress macht graue Haare

An manchen Mythen ist tatsächlich mehr dran als wir denken. Zum Beispiel an diesem Spruch, den auch Eltern gerne anwenden: "Davon krieg' ich (über Nacht) graue Haare"

Kolumnen
Von Anna Biß, 23.11.2022 0 Kommentare

"Ein graues Haar, wieder geht ein Jahr", sangen schon Pur. Mutti behauptet sogar, von Stress "über Nacht" graue Haare zu bekommen. 

Und so manche Eltern würden ihr wohl zustimmen: Pro Kind gibt's einen ganzen Schwung neuer grauer Haare! Und das mag sogar stimmen. Ob das mit den Kindern zu tun hat, ist aber mehr als fraglich. Denn wir werden natürlich, je größer die Kinder werden, unweigerlich auch älter. Und mit dem Alter kommen sie: die ersten grauen Haare. Bei dem einen früher, bei dem anderen später.

Die meisten Menschen bekommen in ihren 30ern die ersten grauen Haare, einige auch schon mit Ende 20 – also genau in dem Alter, in dem viele auch eine Familie gründen und Kinder kriegen. Nur wenige bleiben bis 50 davon verschont. Und mit 60 hat fast jeder schon so einiges an grauen Haaren auf dem Kopf.

Fakt ist aber – und hier hat der Mythos seinen wahren Kern: Psychischer Stress kann das Wachstum von grauen Haaren tatsächlich begünstigen. Und Stress können wir natürlich auch durch das Leben mit Kindern haben. Aber auch von der Arbeit oder tausend anderen Dingen.

Interessant ist aber: Stressbedingte graue Haare können sich wieder zurückfärben. Das fanden Wissenschaftler*innen der Columbia University in New York in einer kleinen Studie heraus.

Um den Zusammenhang zwischen Stress und Ergrauung zu beobachten, ließen die Forscher*innen 14 Freiwillige unterschiedlichen Alters (9 bis 65 Jahre), Haar- und Hautfarbe, ein Stresstagebuch führen. Während desselben Zeitraums nahmen sie Haarproben und untersuchten diese.

Das Ergebnis: Es zeigten sich auffällige Parallelen zwischen den stressigen Phasen und dem Ergrauen der Haare. Dabei änderte sich auch die Zusammensetzung vieler Proteine (Eiweiße) in den Haaren.

Beim stressbedingten Ergrauen scheinen die Mitchochondrien, die gerne als Kraftwerke der Zellen bezeichnet werden, eine besondere Rolle zu spielen: "Mitochondrien sind eigentlich wie kleine Antennen in der Zelle, die auf eine Reihe verschiedener Signale reagieren, darunter auch auf psychischen Stress", erklärt Studienleiter Picard.

Bei 10 der 14 Teilnehmer*innen nahmen die ergrauten Haare aber, sobald der Stress nachließ und die Haare nachwuchsen, wieder ihre ursprüngliche Farbe an.

Es gab eine Person, die in den Urlaub fuhr, und fünf graue Haare auf dem Kopf dieser Person wurden während des Urlaubs wieder dunkel.

Studienleiter Martin Picard

Die Umkehrung ist aber nicht mehr möglich, wenn das Haar, wie bei Mutti, altersbedingt schon vollständig ergraut oder gar fast weiß ist. Wohl aber in der frühen Phase, in der die ersten grauen Haare auftreten! In der Studie war der älteste Teilnehmer, bei dem sich die Haare bei Entspannung zurückfärbten, 39 Jahre alt. Bei den älteren Teilnehmer*innen trat dieses Phänomen folglich nicht auf.

Also Mutti: Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass man von Stress einzelne graue Haare kriegen kann. "Über Nacht" vollständig zu Ergrauen ist aber selbstverständlich Unsinn!


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